Von Kurt Sohnemann
Tiflis. Als der Autofahrer seine Geschwindigkeit auf 30 km/h abbremst, weil sich ein paar Kühe in aller Seelenruhe auf die Fahrbahn begaben, ist da immer noch eine Lücke für die junge Reiterin und ihren Wallach, um mit knapp 60 km/h die Gruppe in gestrecktem Galopp zu überholen. Auch wenn die Situation für einen Mitteleuropäer befremdlich ist, für Georgien gehört das Miteinander von Mensch und Tier zum täglichen Leben, auch im Straßenverkehr. Da Schweine mit einem Holzgestell an eindringlichen Gartenbesuchen gehindert werden, sehen sie von weitem aus, als hätten sie Hörner. Ist aber nicht so, sie nehmen ebenso am gebremsten Verkehrsgeschehen des asiatischen 4,5 Millionen Einwohner zählenden Staates teil, wie die zumeist als Geländefahrzeug ausgestatteten fahrbaren Untersätze. Hohe Geschwindigkeiten sind auf den Untergründen abseits der Städte, die zumeist aus Schotter bestehen, ohnehin nicht möglich.
Da die Mehrheit der eingeflogenen Gäste mit Wanderschuhen ausgestattet ist, verblassen die Verkehrssituationen schon vom ersten Tag an hinter der faszinierenden Natur, die sich den Gästen als Herausforderung für jeden Kilometer per Pedes stellt. Georgien ist einer der schönsten Flecken der Erde, ist ein vielzitierter Satz der Menschen, die das Glück hatten, die Regionen zu erleben. Da die Georgier Mythen und Sagen pflegen und lieben, zitieren sie auch gern den Satz: „Als Gott alles Land verteilt hatte, schenkte er das Stück, das er für sich selbst gedacht hatte, den Georgiern.“ So ganz abwegig scheint der Glaube daran nicht, wenn die Sonne über den Kaukasus geklettert ist, die Wildbäche und grünen Höhenzüge in unvergleichlich strahlende Farben taucht.
Wer dann nicht die Wanderstiefel schnürt, hat mit der Leidenschaft in der Natur nichts zu tun. Davon gibt es nur wenige Menschen zwischen den Gebirgszügen, die als kleiner und großer Kaukasus beschrieben werden. Eine Ausnahme von der natürlichen Prägung ist die Hauptstadt Tiflis, die in Georgien Tbilisi und Paris des Ostens genannt wird. Hier mischt sich futuristische Architektur mit Bauten abend- und morgenländischen Ursprungs. Der Mtkwari durchfließt Tiflis und bildet mit seinem Flußbett die natürliche Lebensader der Hauptstadt. Immer wieder lassen dabei die teilweise baufälligen Gebäude den Schluss zu, dass Georgien sein eigenes Gesicht hat. In den Wohnungen glückliche Menschen, die vor Gastfreundschaft nur so strotzen und nicht den Eindruck hinterlassen, etwas versäumt zu haben.
Die Gastfreundschaft der Georgier beruht nicht nur auf der zuvorkommenden Behandlung der Besucher ihres Landes. Wer an einem der Tische Platz genommen hat, wird den Speisenreichtum zu schätzen wissen. Typisch georgisch sind Nüsse und Honig als Zutaten. Frisches Gemüse und Obst sind ebenso Bestandteile der mehrgängigen Speisenfolgen wie Eier- und Fleischvarianten, zumeist werden Hühner für die Mahlzeiten geopfert. Die vielfachen Kräutermischungen sorgen in jeder Küche für die individuellen Geschmacksrichtungen. Knoblauch, Kardamom, svanetisches Salz, Chili, Koriander und Bockshornklee sind häufig bestimmende Gewürze. Vielfach wird mit Hefeteig gearbeitet, wie etwa beim Chatschapuri, einer beliebten Vorspeise, die als Teigtasche serviert wird. Ob Ei, Walnusspaste, Spinat oder Rote Bete-Paste eingebacken sind, obliegt den Vorlieben der Küchenobrigkeit.
Trotz der schmackhaften Speisenfolgen wird an den Tischen nicht übermäßig lange verweilt, wenn die Landschaftsformationen in die Natur locken. Man muss nicht Bergsteiger sein, um vom 5047 Meter hohen Kasbek verzaubert zu sein. Die Fahrt zu seinen Füssen lässt indes den Blick vom Dschwari-Kloster auf die ehemalige Hauptstadt Mzcheta zu, die als UNESCO-Weltkulturerbe im Tal des Mtkwari liegt und als religiöses Zentrum gilt.
Mzcheta ist umgeben von Kirchen, Klöstern. Sie verdeutlichen die tiefe Religiosität der Georgier. Das georgisch-orthodoxe Christentum ist die dominierende Glaubensrichtung, wobei auch allen anderen Gläubigen Raum und Platz für die Ausübung des Glaubens gelassen wird, wie die Kirchenvielfalt in Tiflis zeigt.
Durch Nussbaumplantagen führt die Fahrt zu den begehrten Trekkingrouten am großen Kaukasus. Stepansminda bietet sich als Ausgangsposition für die Wanderungen an und hält einige Gästehäuser vor, die den westlichen Ansprüchen ähnlich der Jugendherbergen genügen. Wer nicht gleich nach zwanzig Kniebeugen den Gedanken an ein Sauerstoffzelt verschwendet, wird auch den Wanderrouten gewachsen sein, die Distanzen von teilweise über zehn Kilometer und über tausend Höhenmeter in sich bergen. Es gibt aber auch immer die Möglichkeit der langsamen Auf- und Abstiege, sowie der Abkürzungen. Die Bergwelt des großen Kaukasus‘ hält viele Varianten offen.
Ideal für Trekkingtouren ist die Region unweit der russischen Grenze. Von 1.700 bis knapp über 5.000 Höhenmeter erstrecken sich die Wanderwege unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade. Eine der schönsten führt von Stepansminda zur Gergeti-Dreifaltigkeitskirche, die auf einer 2.170 Meter gelegenen Anhöhe einen herrlichen Blick auf den Kasbek bietet. Als einer der höchsten Gletscher im Kaukasus ragt er schneeweiß aus der Gebirgskette heraus.
Ein saftig grünes Hochtal wird den Wanderern indes im Sno-Tal geboten. Vom Bergdorf Dschuta aus können hier Halbtags- und Tageswanderungen unternommen werden, die auf 2.550 und auch 3.842 Meter hoch führen. Immer flankiert von den rauschenden Zuläufen des Flusses Sno, den Wasserfällen und einigen Bergseen werden die Wanderer von landschaftlicher Schönheit geradezu erdrückt. Felsenzacken am Horizont und riesige Rhododendronfelder am Fuße des Bergs Tschauchebi (3.842 Meter) schaffen je nach Jahreszeit eine faszinierende Farblandschaft.
Im Nordwesten Georgiens, wo Mestia die größte Stadt der Region Swanetien ist, sind dann auch die vielen Wehrtürme in den Ortschaften nicht mehr zu übersehen. Die zahlreichen Kriege und sogar familiären Auseinandersetzungen machten diese Festungen in den vergangenen Jahrhunderten offensichtlich unentbehrlich. In diesen „Koschkis“ wie die Wehrtürme von den Einheimischen genannt werden, verschanzten sich die einzelnen Familien, um sich samt ihrem Vieh vor Feinden zu schützen und aus den Scharten der Türme zu schießen, wenn Gefahren drohten.
Einmal in Svanetien, darf der Ort Ushguli nicht ausgelassen werden. In ihm fühlen sich die Gäste gleich mehrere Jahrzehnte zurückversetzt. Die mittelalterlichen Dörfer dieser Art sind bereits UNESCO-Weltkulturerbe und zeigen in ihrer ursprünglichen Form das karge Leben am Rande des Hochgebirges auf. Noch heute wohnen und wirtschaften Familien in den rustikalen Bauten, die mit Geröllwegen verbunden sind, auf denen Schafe, Schweine und Rinder für einen ständig wechselnden Bodenbelag sorgen. Um Ushguli zu erreichen, bietet sich eine Wanderroute von Adishi nach Ipari an, die es mit 14 Kilometern und einem Aufstieg von 1.140 Metern sowie einem Abstieg von 1.300 Metern in sich hat. Die faszinierende Landschaft am Rande der Route belohnt allerdings die Mühen. In Adishi wohnen nur noch sechs Familien die ihren Alltag gelassen mit ihren Tieren verbringen, von denen sie in diesem Dorf leben, wenn auch eine Herberge etwas Tourismus einziehen lassen hat.
Eine ähnliche Stellung hat übrigens das Dorf Ushguli. Die vier Ortsteile gelten als die höchsten dauerhaft bediedelten Orte Europas. In einem kleinen Museum bietet der Ort einen Einblick in das Leben, das die Bewohner noch nicht lange hinter sich gelassen haben. Gemeinsam mit ihrem Vieh haben sie in einem Raum gewohnt und sich bei Gefahr in ihren Wehrturm zurückgezogen. Eine Wanderung über etwa zehn Kilometer führt von Ushguli zum Adeshi-Gletscher. Die Wanderung führt immer entlang des Flusses Enguri. Der Gletscher ist dabei immer der Hintergrund eines ständig wechselnden Panoramas. „Ich komme liebend gern hier her, denn auf unserer Seite des Gebirges gibt es nicht so traumhaft schöne Perspektiven“, lobt eine wandernde Russin das malerische Georgien.
Bei der Reise zu den schönsten Punkten Georgiens darf ein Stopp am Martvili-Canyon nicht fehlen. Die Schlucht lädt durch ihre Konstellation zur Bootsfahrt ein. Wobei die Boote von einem Verleih für eine etwas halbstündige Fahrt zwischen den Felsen bereitgestellt werden. Auf dem Abashistskali lässt sich die Canyon-Kulisse zwischen den Felsen bei einem Hauch von Karibik-Feeling genießen.
Geschichtsträchtiger werden dann die Sehenswürdigkeiten in Gori und der Nähe der Geburtsstadt Stalins. Während die Sowjetunion dem menschenverachtenden Politiker ein Museum baute und dabei die gesamte Stadt Gori um das Geburtshaus Stalins errichtete, haben es die Georgier bisher nicht geschafft, die Stellung des umstrittenden Politikers zu relativieren. Noch immer ist das Geburtshaus geschützt unter einem Überdach zu betrachten, flankiert von einem ausladenden und opulenten Palast-Museum, in dem das Leben des ehemaligen Machthabers aufgezeigt wird.
Die Erkundung der Höhenstadt Uplisziche an der ehemaligen Seidenstraße, unweit von Gori ist dagegen weit weniger mit der jüngeren politischen Vergangenheit belastet. Hier haben bis zu 5.000 Menschen vor kriegerischen Auseinandersetzungen Zuflucht gefunden. In ihrer Stadt haben sie auf Annehmlichkeiten wie Theater nicht verzichtet, wie die noch gut erhaltenen Strukturen der Höhlen zeigen. Gut erhaltene Höhenwohnungen und sogar der Schacht, der als Gefängnis diente, weisen auf die bewegte Vergangenheit der Stadt Uplisziche hin.
Georgien zu besuchen heißt aber auch, die lange Geschichte des Weinbaus zu erleben. Schon vor 8.000 Jahren wurde das begehrte Getränk in dem Land angebaut. Das Zentrum des Weinbaus liegt heute unbestritten in Kachetien, auch wenn in anderen Landesteilen gute Tropfen ausgebaut werden. Die uralte Tradition, Weine in Tonbehältnissen in der Erde reifen zu lassen, wird dort auch heute noch gepflegt. Winzer wie Beka Jimsheladze bauen im toskanisch anmutenden Signagi Rebsorten wie Rkatsiteli, Saperavi, Tavkveri, Mtsvani und Kysi an, die den inhaltsvollen Geschmack der Weine bestimmen. Durch intensivere Kontakte nach Europa ist es ihm und seinen Kollegen bereits gelungen, einen Teil der Ernte auch außerhalb Georgiens zu verkaufen. (autour24/kuso)
Infos: Gut ausgearbeitete Wanderreisen nach Georgien können Interessierte unter www.weltweitwandern.com finden. 15-tägige Programme werden bereits ab 2.490 Euro angeboten und beinhalten Unterbringung und Verpflegung. In Georgien wird der Hauptstadtflughafen Tiflis angeflogen. Die Landeswährung ist Lari, wobei der Kurs derzeit 2,8 Lari/1 Euro beträgt.