Von Klaus H. Frank
Ab 2030 lässt Ford all seine Modelle voll-elektrisch vom Band laufen. Ein erster Vorbote dieser geballten Stromer-Phalanx ist bereits auf dem Weg zum Händler. Es ist ein gefälliger fünftüriger Crossover-SUV mit einer Technik, wie sie bei den meisten Elektroautos von heute state of the art ist. Von der Technik her gesehen also nichts weltbewegend Neues. Aufhorchen lässt hingegen der Name dieses Modells, das Ford in Mexiko bauen lässt. Es heißt Mustang Mach-E, trägt also den Namen einer automobilen Ikone, die seit 57 Jahren die Menschen rund um den Globus elektrisiert. Im Wortsinne soll dies auch der Neue tun. Mal sehen, ob dies gelingt…
Denn wer an Mustang denkt, der hat den sonoren brabbelnden Sound eines großvolumigen Achtzylinders in den Ohren. Er sieht vor seinem geistigen Auge Hollywood-Legende Steve McQueen, der sich im Film „Bullitt“ in einem 68er Mustang Fastback eine wilde Verfolgungsjagd mit einem Dodge Charger durch San Francisco liefert. Wer an Mustang denkt, hängt gerne seinen Träumen nach, eine der berühmtesten Auto-Ikonen einmal selbst in der Garage stehen zu haben – ganz gleich, ob als Oldtimer aus 60ern/70ern oder als topmoderne Variante. Und nun ein Mustang – elektrisch und als SUV?
Keine Frage: Der Name Mustang für den neuen elektrischen Cross-SUV polarisiert und provoziert. Warum nicht einfach nur Ford Mach-E – hätte doch auch genügt, sagen sich viele. Das Narrativ, das über die Namensgebung kursiert, lautet in etwa so: Der erste Design-Entwurf für ein Elektro-SUV von Ford sei gesichtslos und langweilig gewesen, sei verworfen worden. Deshalb haben die Ford-Oberen eine Neu-Interpretation mit dem Mustang als Vorbild angeregt. Der wohl wichtigste Entscheidungsträger Bill Ford, Urenkel von Henry Ford und leidenschaftlicher Mustang-Fan, soll davon gar nicht begeistert gewesen sein, denn er fürchtete die Marke Mustang könnte mit einem SUV verwässert und in Mitleidenschaft gezogen werden. Dennoch fand eine der folgenden Design-Versionen Gefallen bei Bill Ford, der dann seinen Segen zur Realisierung des Mach-E-Projekts gab.
Soviel zur Vorgeschichte. Designerische Parallelen zwischen dem eigentlichen Muscle-Car und dem SUV sind spärlich, jedoch auffindbar. Vor allem am Heck, wo die sechs senkrecht stehenden Rücklichter, die auffälligste Gemeinsamkeit von Sportwagen und SUV sind. Nicht zu vergessen das galoppierende Wildpferd auf der Frontmaske des SUV. Auch die lange Fronthaube und die muskulösen Kotflügel sollen, so Ford, an den echten Mustang erinnern, der wohl wie kein anderes US-Fahrzeug den „American Dream“ versinnbildlicht. Und, so steht es im Pressetext, der „von Sehnsucht nach Freiheit, Fortschritt und famosen Fahrleistungen geprägt“ wird. Der wohl größte Unterschied der beiden Mustangs liegt in der Höhe der beiden Fahrzeuge. Der Sportwagen misst 1,38 Meter, der SUV hingegen 1,62 Meter, also mehr als zwanzig Zentimeter Höhen-Differenz.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Der Mustang Mach-E ist vom Design her ein sehr gelungenen Auto, ohne jedoch das gern zitierte Gesicht in der Menge zu sein. Zu fragen ist natürlich auch mit einem vollkommen anderen Ansatz: Warum musste ein elektrischer Mustang unbedingt ein SUV sein? Warum nicht auch ein Sportwagen, wie es Porsche mit dem Taycan und Audi mit seinem e-Tron GT beispielhaft vorgemacht haben?
Sehr gelungen finden wir den geräumigen und qualitativ hochwertig verarbeiteten Innenraum des 4,71 Meter langen und 1,88 Meter breiten Mustang Mach-E. Trotz der coupéhaft sanft nach hinten abfallenden Silhouette findet sich auch auf den Rücksitzen ausreichend Platz mit genügend Kopffreiheit. Das eigentlich recht luftige Raumempfinden wird jedoch durch die schmalen Seitenfenster für die Hinterbänkler etwas eingeschränkt. Der Kofferraum (engl. Trunk) schluckt 402 Liter, bei umgeklappten Rücksitzen sind es 1420 Liter. Zusätzlich gibt‘s unter der Fronthaube einen Frunk (ein Kunstwort aus Front und Trunk) mit dem Fassungsvermögen von 100 Litern. Dieser ist bestens geeignet zum Beispiel für die Aufbewahrung verdreckter Bergschuhe nach einer Wandertour oder die nassen Badeklamotten nach einem Sprung ins Wasser. Der Clou: Der Kunststoff-Frunk hat einen Wasserablauf. So kann er problemlos mit dem Gartenschlauch saubergespritzt und das Wasser abgelassen werden.
Das puristische Cockpit wird dominiert von einem riesigen aufrecht stehenden 15,5 Zoll (39 Zentimeter) großen Touchscreen (Tesla lässt grüßen), über den jedwede Informationen abzurufen und einstellbar sind. Das intuitiv bedienbare riesige XXL-Teil macht sich ganz hervorragend, birgt jedoch die latente Gefahr dran rum zu spielen und sich ablenken zu lassen. Ein weiteres Display, 10,2 Zoll groß, liegt besser einsehbar hinter dem Lenkrad des Fahrers. Über das große Display sind zum Beispiel die drei Fahrmodi „Whisper“, „Active“ und „Untamed“ abrufbar, die ins Deutsche mit „flüstern“, „aktiv“ und „ungezügelt“ übersetzt werden könnten. Dort ist auch die Stärke der Rekuperation einstellbar. Mit dem sogenannten „One-Pedal-Drive“ kann der Fahrer den elektrischen Mustang allein mit dem Strompedal dirigieren und bis in den Stand abbremsen. Das funktioniert so gut, dass der Mustang wohl nie in seinem Lebenszyklus neue Bremsbeläge brauchen dürfte.
Bevor der schicke, von einem großen Panoramadach erhellte Innenraum betreten werden kann, muss erst die Tür geöffnet werden. Hier wartet Ford mit einer echten Novität auf – es gibt keine konventionellen Türgriffe. Per Druck auf einen Cent-großen Sensor springen die Türen auf und mit einem Mini-Griff können sie dann ganz aufgezogen werden. Auch das Smartphone kann als digitaler Schlüssel dienen. Der Mustang Mach-E erkennt ihn via Bluetooth und entriegelt die Türen. Auch nach der Eingabe eines Codes gibt‘s ein „Sesam-öffne-Dich“ – das Tastenfeld hierzu ist in die B-Säule integriert.
Hier ein Überblick darüber, welche Optionen es hinsichtlich Batteriekapazitäten, Reichweiten, Verbrauch und Preisen für den Mustang mit Heck- oder Allradantrieb gibt.
- Batterie Standard Range 68 kWh netto, Normverbrauch 17,2 kWh, 198 kW/269 PS, Drehmoment 430 Nm, Heckantrieb, Reichweite 440 km, Preis ab 46 900 Euro.
- Batterie Extended Range 88 kWh netto, Normverbrauch 16,5 kWh, 216 kW/290 PS, 430 Nm, Heckantrieb, Reichweite 610 km, Preis ab 54 475 Euro.
- Batterie Standard Range 68 kWh netto, Normverbrauch 19,5 kWh, 198 kW/269 PS, 580 Nm, Allradantrieb, Reichweite 400 km, Preis ab 54 000 Euro.
- Batterie Extended Range 88 kWh netto, Normverbrauch 18,7 kWh, 258 kW/351 PS, 580 Nm, Allradantrieb, Reichweite 540 km, Preis ab 62 900 Euro.
Wir hatten Gelegenheit, das derzeit stärkste Modell mit 351 PS und Allradantrieb zu fahren. Von der Leistung her betrachtet, ist der Mach-E durchaus würdig, den Namen Mustang zu tragen. Wie bei Elektroautos üblich, liegt das hohe Drehmoment (hier 580 Nm) praktisch vom Stand weg an und beschleunigt den Mach-E eindrucksvoll und Mustang-like in 5,8 Sekunden auf 100. Die Spitzengeschwindigkeit gibt Ford mit 180 km/h an – das ringt Mustang-Fans jedoch nur ein müdes Lächeln ab.
Bei einer Tour über Landstraßen rund um den neuen Berliner Flughafen Schönefeld macht der Mach-E seine Sache sehr gut. Die Lenkung ist leichtgängig und präzise, bremsen ist bei vorausschauendem Fahren dank Rekuperation nahezu überflüssig. Zu loben ist das Kurvenverhalten, was gleichwohl dem Allradantrieb als auch dem tiefen Schwerpunkt (wegen des Akkupakets im Fahrzeugboden) geschuldet ist. Als Verbrauch messen wir nach dem Kurztrip 25 kWh. Auf der Autobahn testen wir auch die Top-Speed und erreichen 187 km/h – bis dem System der Saft abgedreht wird. Als Verbrauch nach diesem gestreckten Galopp des Mustangs über einen deutschen Highway ist vom Display ein Verbrauchs-Wert von 33 kWh abzulesen.
Sollte dem Wildpferd unterwegs das Heu, also der Strom, ausgehen, so genügt ein Blick auf das Navi im großen Display, um über das sogenannte Intelligent Range zu erfahren, wo die nächstgelegene Futterstelle zu finden ist. An einer Schnell-Ladestationen (HPC) mit 150 Kilowatt (kW) soll es möglich sein, in zehn Minuten Strom für 120 Kilometer Reichweite zu laden. In einer dreiviertel Stunde soll die Batterie wieder zu etwa 80 Prozent voll sein, verspricht Ford. Der Kölner Hersteller ist dem Ionity-Schnellladenetz angeschlossen und bietet seinen Kunden im ersten Jahr einen kostenfreien Account und einen vergünstigten Tarif, der 0,31 Euro/kWh statt der üblichen 0,79 Euro beträgt.
Zum Schluss noch etwas Balsam auf die Seelen der „echten“ Mustang-Fans: Wenigstens bei den Fahrleistungen wird der Mustang Mach-E demnächst etwas mehr an die hervorragenden Fahrwerte des echten Muscle-Cars heranreichen. Denn Ende des Jahres setzt Ford dem Mach-E eine Krone auf und bringt eine GT-Version. Die wird dann 358 kW/487 PS leisten und ein mächtiges Drehmoment von 860 Newtonmetern produzieren. Den Sprint auf 100 schafft der GT dann in nur 3,7 Sekunden, die Spitze liegt bei 200 km/h. Als Hintergrund-Musik empfiehlt sich dazu der aus den Tiefen der Technik kommende künstliche Sound eines Achtzylinders, was auch der jetzige Mach-E – mit welcher Resonanz bei den Fans auch immer – bereits beherrscht. (autour24/khf)