Michelin fordert Tests nicht nur mit Neureifen

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Von Klaus H. Frank

Der Reifenhersteller Michelin startet eine Kampagne, die aufhorchen lässt. Michelin nennt sie Long Lasting Performance Strategie und fordert darin, Reifen zu entwickeln, die sowohl im Neuzustand als auch im gefahrenen Zustand, und zwar bis zum Erreichen der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestprofiltiefe, alle Anforderungen voll erfüllen. Michelin wendet sich  dagegen, Reifen stets nur im Neuzustand zu testen, denn im gefahrenen Zustand können sie vollkommen andere Qualitäten aufweisen. Gleichzeitig tritt der Reifenhersteller dafür ein, die Reifen tatsächlich bis zum Erreichen der Mindestprofiltiefe von 1,6 Millimetern zu fahren und nicht, wie es meist geschieht, die Reifen schon bei einer Profiltiefe von drei bis vier Millimetern auszutauschen. Händler empfehlen dies gern mit Blick auf mehr Umsatz und werden über die Forderung von Michelin nicht sehr erbaut sind. Aber auch Automobilclubs und Fachmagazine fordern den frühzeitigen Austausch von Reifen, ohne getestet zu haben, wie die Reifen reagieren, wenn sie nicht mehr die im Neuzustand üblichen acht Millimeter Gummi auf der Lauffläche besitzen.

Michelin verheimlicht nicht den „wunden Punkt“ in seiner Forderung der Long Lasting Performance Strategie. Und zwar ist es das Bremsverhalten gefahrener Reifen bei Nässe. Dies ist das Leistungskriterium, das im Laufe eines Reifenlebens am stärksten nachlässt und ausschlaggebend ist für die Sicherheit während der gesamten Lebensdauer des Reifens. Um die Leistung von Reifen aller Hersteller bei Nässe einheitlich beurteilen zu können, fordert Michelin gefahrene Reifen nach der von der europäischen Reifen- und Felgensachverständigenorganisation (ETRTO) definierten Testmethode R117 zu testen. Diese Testmethode ist Branchenstandard und findet wie auch die  Michelin-Tests gebrauchter Reifen bei einer Wasserfilmhöhe von einem Millimeter statt. Diese Wasser-Höhe scheint auf den ersten Blick wegen der geringen Höhe nicht repräsentativ. Tatsächlich aber gibt es einen Wasserfilm von einem Millimeter nur nach starkem Niederschlag mit einer Intensität von 100 Litern pro Quadratmeter in der Stunde. Diese Art von Regen, so Michelin, sei typisch für einen heftigen Wolkenbruch von circa 10 bis 15 Minuten Dauer. Solche Regenmengen entstünden nur bei sehr schweren Regenfällen, die extreme Ausnahmen seien. Das Bremsverhalten eines Reifens bei Nässe ist jedoch nicht allein vom Profil abhängig – auch der Reifenaufbau und die Gummimischung spielen eine zentrale Rolle. Ein gutes Beispiel ist ein von Michelin produzierter Hybrid Slick-Rennreifen, der selbst ohne Profilrillen oder Wasserabläufe einzig dank seiner Mischung eine sehr gute Performance bei feuchter bis nasser Straße bietet.

Michelin stellt die Bremseigenschaften gefahrener Reifen bei Nässe in den Fokus seiner Forderungen und untermauert dies mit eigenen Testergebnissen, die mit Reifen von Wettbewerbern durchgeführt wurden. So etwa hatte der neue Reifen „X“ den kürzesten Bremsweg auf Nässe, fiel aber im gefahrenen Zustand auf Platz 10 von 13 getesteten Reifen zurück. Im Gegensatz dazu lag Reifen „Y“ im Neuzustand nur auf Platz 10, erreichte aber gegen Ende seines Lebenszyklus den zweiten Rang beim kürzesten Nassbremsweg. Diese Ergebnisse zeigen, dass ein Reifen mit guter Performance im Neuzustand nicht automatisch gegen Ende der Lebensdauer sein hohes Niveau halten muss.

Auf der anderen Seite werden Reifen mit zunehmender Lebensdauer aber sogar besser: Wie etwa bei den Bremswerten (zehn Prozent kürzer) auf trockener Straße. Ein Umstand, so Michelin, der besondere Beachtung verdient, denn die Straßen sind über das Jahr hinweg betrachtet im Durchschnitt zu 70 Prozent  trocken. Ein weiterer Punkt bei dem gefahrene Reifen besser werden: Bei der Geräuschentwicklung und beim Rollwiderstand. Der geht zurück und damit auch der Kraftstoffverbrauch. Gegen Ende des Reifen-Lebens beträgt der Rollwiderstand etwa 80 Prozent im Vergleich zum fabrikneuen Reifen – und das bedeutet eine Kraftstoffersparnis von rund vier Prozent. Außerdem haben Reifen mit wenig Profil einen deutlich besseren Grip. Wie dies ja bei Rennreifen (Slicks) hinlänglich bekannt ist.

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Noch ein weiter Fakt spricht dafür, Reifen nicht zu früh auszuwechseln. Die Belastung der Umwelt. Die Franzosen haben berechnet, dass dadurch in Europa rund 6,6 Millionen Tonnen CO2 mehr als notwendig freigesetzt werden. Außerdem werden 6,9 Milliarden Euro für 126 Millionen Reifen vorzeitig ausgegeben, wenn schon bei drei Millimetern gewechselt wird.

Die Initiative von Michelin ist mehr als lobenswert, trägt sie doch dazu bei Material-, Ressourceneinsatz und Kosten zu senken, das volle Potenzial des Reifens auszuschöpfen, aber keine Kompromisse bei der Sicherheit einzugehen. (autour24/khf)

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