VW e-Crafter: Elektriker für „die letzte Meile“

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Von Klaus H. Frank

Ein Schnellschuss war das sicherlich nicht. Bevor die klugen Köpfe von Volkswagen Nutzfahrzeuge (VWN) sich Gedanken darüber machten, wie wohl ein Elektrofahrzeug auf Basis des Crafters aussehen sollte, haben sie diejenigen befragt, die es eigentlich wissen sollten. Die Kunden. Vor allem jene, die angesichts der schwelenden Dieselkrise von Fahrverboten in Innenstädten betroffen sein könnten. Das sind vor allem die „Last-Mile-Zusteller“ von Kurierdiensten, Handwerker- und Service-Betriebe, Shuttle oder Taxi-Betriebe oder Gewerbetreibende.

Doch nicht nur Einfahr-Beschränkungen in Innenstädte und schärfere Abgasgesetze bewogen Volkswagen zur einer umfassenden Analyse, bevor sie zur Entwicklung des e-Crafters schritten. Sondern auch Themen, wie die wandelnde Mobilität, die immer stärker werdende Urbanisierung oder der steigende Transportbedarf durch Internet-Handel. Gemeinsam mit mehr als 1500 Kunden wurden deshalb 210 000 Fahrprofile ausgewertet, deren wohl wichtigstes Ergebnis lautet: Der e-Crafter ist für die Zustellung auf der letzten Meile perfekt geeignet. Das Fahrzeug kann sechs Tage in der Woche und neun Stunden am Tag gefahren werden – mit zirka 50 bis 100 Stopps auf den jeweiligen Touren, bei denen die Fahrtstrecke kaum mehr als 70 Kilometer betragen dürfte.

In Hamburg haben wir uns mal reingesetzt in einen Volkswagen e-Crafter und versucht zu ergründen, ob dieses stattliche Fahrzeug von 5,99 Metern Länge, 2.03 Metern Breite und 2,59 Metern Höhe tatsächlich das Richtige ist, für die saubere und geräuschlose Lösung von Transportproblemen in engen und verstopften Innenstädten. Wir wollen den e-Crafter starten, aber es tut sich nichts. Denn bevor man hört, dass man – wie bei E-Autos üblich – nichts hört, muss der Sicherheitsgurt geschlossen werden. Sonst tut sich gar nichts. Ein durchaus cleveres Sicherheitsdetail, das eigentlich auch in anderen Fahrzeugen Eingang finden sollte.

Dann der Tritt auf Gaspedal – und der e-Crafter zieht mit seinem 100 kW-Elektromotor an, als wäre er für einen Super-Expressdienst gemacht. Und das, obwohl er 500 Kilo schwerer wiegt als sein Bruder mit Verbrennungs-Motor.  350 Kilogramm allein bringt schon die  Lithium-Ionen-Batterie (10 Jahre Garantie) auf die Waage, die unter dem Fahrzeugboden hängt und die Ladekapazität des e-Crafters erfreulicherweise nicht einschränkt. Ein Blick in den Laderaum bestätigt die VW-Angaben: Der e-Crafter schluckt genau so viel wie sein Bruder mit Heckantrieb, nämlich 10,7 Kubikmeter (= vier Europaletten). Die Zuladung beträgt zwischen 0,975 und 1,72 Tonnen. Die Durchladebreite beträgt 1,38  Meter, die Laderaumhöhe: 1,81 Meter. Vorerst wird der Lieferwagen mit dem mittellangem Radstand (3,64 Meter) und Hochdach kommen, und zwar in den zwei Gewichtsklassen: bis 3,5 oder bis 4,25 Tonnen.

Der enorme Antritt des VW e-Crafter (136 PS) ist typisch für ein Elektro-Fahrzeug, deren maximales Drehmoment (hier 290 Newtonmeter) schon vom Start weg anliegt. Bei der Höchstgeschwindigkeit bricht der Hochdach-Kastenwagen jedoch keine Rekorde. Die ist auf 90 km/h begrenzt, damit ihm bei schneller Autobahnfahrt nicht zu schnell die Puste, also der Strom, ausgeht. Die Reichweite soll nach dem NEFZ-Messverfahren (theoretisch) bei 173 Kilometern liegen, realistisch dürften es im Alltagsbetrieb 100 bis 120 werden, meint Volkswagen. Beeindruckend ist seine Steigfähigkeit: 20 Prozent soll er locker schaffen, sagen die VW-Experten, selbst bei voller Beladung.

Der Stromverbrauch bei einer Zuladung von 0,975 Tonnen soll (kombiniert) bei 21,54 kW auf 100 km liegen. Das entspricht ungefähr 2,1 Liter Diesel bei  gleicher Distanz. Da spitzt der scharf kalkulierende Unternehmer die Ohren – denn das ist sehr günstig. Der Preis für eine Kilowatt-Stunde wird mit 20 Cent angesetzt. Laut Volkswagen soll der e-Crafter deshalb um rund 40 Prozent günstiger fahren als ein Verbrenner.

Die Ladezeiten halten sich im üblichen Rahmen. In 45 Minuten ist der e-Crafter zu 80 Prozent an einer Schnellladesäule mit 40 kW (Gleichstrom) aufgeladen, eine volle Ladung dauert rund 75 Minuten. An der Wallbox mit 7,2 kW (Wechselstrom) dauert das Vollladen des 35,8-kW-Akku 5:20 Stunden. Das kann über Nacht geschehen.

Für den Elektroantrieb an sich hat Volkswagen nichts Neues erfinden müssen. Alle Komponenten stammen aus dem e-Golf und wurden an den e-Crafter angepasst. Das Ein-Gang-Getriebe ist jedoch wegen der doch sehr unterschiedlichen Einsatzgebiete verstärkt worden.

Die Umfragen bei Kunden hatten ergeben, dass Fahrer von Nutzfahrzeugen Wert auf gute Ausstattung legen. Auf dem Wunschzettel stehen ein Radio (100 Prozent), elektronische Geräte (70 Prozent), 55 Prozent wollen eine Klimaanlage, 35 Prozent eine Standheizung und 15 Prozent wollen Navi an Bord.  Das hat sich VW zu Herzen genommen und den e-Crafter quasi wie einen Pkw ausgestattet. Serienmäßig sind außerdem der ParkPilot als Einparkhilfe inklusive Flankenschutz, eine Multifunktionskamera (vorn) und eine Rückfahrkamera. Ebenfalls immer dabei: der Seitenwind-Assistent, LED-Scheinwerfer, Klimaautomatik, Sitzheizung, beheizte Frontscheibe und Komfortsitze.

Bei unserer Tour durch Hamburg haben wir uns schnell an den e-Crafter gewöhnt. Trotz seiner Größe ist er wendig (Wendekreis 13,6 Meter) und agil, die Beschleunigung ist Spitze und die Straßenlage ausgezeichnet für solch ein hoch aufbauendes Fahrzeug. Und die geräuschlose Fahrweise empfinden wir als besonders angenehm. Kritisch hingegen kann diese Lautlosigkeit für Fußgänger werden, da Lieferdienste ja häufig in Fußgängerzonen unterwegs sind. Volkswagen will deshalb sehr bald einen Soundgenerator installieren, der, mit welchem Geräusch auch immer, die Fußgänger warnen soll.

Zum Preis: Elektroautos sind nicht billig. Auch der e-Crafter nicht. Mit 69 500 Euro ist er etwa 15 000 Euro teurer als ein vergleichbarer Crafter mit Verbrenner. Wer nun den Rechenstift zückt und herausfinden möchte, wann sich das Fahrzeug amortisiert, wird zu keinem echten Ergebnis kommen. Also besser sein lassen. Die emissionsfreie und lautlose Fahrt in der Innenstadt ist wichtiger – erst recht, wenn sie für Diesel-Stinker gesperrt ist. (autour24/khf)

Technische Daten Volkswagen e-Crafter: L x B x H (in Meter): 5,99 x 2,03 x 2,59; Radstand: 3,64 Meter. Ladevolumen: 10,7 Kubikmeter. Durchladebreite 1,38 m, Laderaumhöhe: 1,81m. Motor: 100 kW/136 PS, Drehmoment: 290 Nm. Batterie: Lithiumionen, Ladezeiten: 220 V/ 2,3 kW: 17 Stunden, Wallbox/7,2 kW: 5 h 20 Min; Schnellladung: 40 kW: 45 Minuten für 80 Prozent. Höchstgeschwindigkeit: 90 km/h (abgeregelt).Durchschnittsverbrauch: 21,5 kW/h. Effizienzklasse; A+. Reichweite (NEFZ): 173 km. Nutzlast: 3,5 t mit 970 kg; Laderaumvolumen: 850 – 1784 Liter, Wendekreis: 13,6 m. Basispreis: 69 500 Euro.

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