Von Klaus H. Frank
BMW hat es mit dem X6 vorgemacht, Mercedes hat mit seinem GLE nachgezogen und bewiesen: Es ist durchaus möglich einen SUV mit einem Coupé zu kreuzen. BMW hat sich mit seinem X6 dabei eher auf die sportliche Seite gestellt, Mercedes pflegt mehr die Eleganz. Nun also liegt es allein im Sinne des Betrachters, zu entscheiden, was besser aussieht: Original oder Kopie. Wir finden, ohne den X6 abwerten zu wollen, das Mercedes GLE Coupé todschick und können einem Autotester der SZ keinesfalls zustimmen, der es als „das hässlichste Vehikel der Autogeschichte“ bezeichnet hat. Außerdem schreibt er: „Ich würde am Steuer vor Scham am liebsten eine Papiertüte über dem Kopf tragen“. Der Mann tickt nicht richtig, leidet an Geschmacksverirrung.
Sicherlich ist dieser Mercedes ein ordentlicher Brocken (4,90 Meter lang, zwei Meter hoch) mit mächtigem Kühlergrill, den ein dominanter Stern ziert, und mit extrem wuchtigem Heck, das wohl als erstes jedermann ins Auge fällt. Auch der GLE wird, wie schon der X6, ordentlich polarisieren und auch provozieren. Dennoch wirkt er bei weitem nicht so brutal und martialisch wie ein BMW X6, sieht trotz seines athletischen, muskulösen Designs eleganter und vornehmer aus. Aber auch er hat die Nachteile, die ein Fahrzeug dieses Konzepts grundsätzlich hat. Die Dachlinie fällt ab der B-Säule stark ab, das Rückfenster ist klein und steht sehr schräg, womit der Blick nach hinten doch ziemlich eingeschränkt ist. Das Einparken ohne das optionale Park-Paket wird so zum Vabanque-Spiel – wer will schon hässliche Kratzer in diesem schicken Gefährt . Also besser 1654,10 Euro investieren und auf dem sieben Zoll großen Monitor in der Mittelkonsole via Rückfahrkamera aus einer animierten Vogelperspektive verfolgen, ob die Lenkeinschläge das Fahrzeug auch in die richtige Richtung führen. So klappt das Rangieren auch in die engste Lücke. Ein weiterer Nachteil des wuchtigen Hecks ist die 90 Zentimeter hohe Ladekante, wegen der der Kofferraum (Volumen 650 bis 170 Liter) nur schwierig zu Be- und Entladen ist. Ist ein Gepäckstück recht weit nach vorne gerutscht, dann muss es der Kofferträger halb liegend wieder aus dem Gepäckabteil fischen. Ein Trost: Die Heckklappe öffnet elektrisch.
Dass dieses Trumm von einem Auto auch einen adäquat großen Innenraum hat, ist wohl selbstredend. Trotz des schrägen Hecks sitzen alle fünf Passagageier sehr bequem und genießen die hohe Sitzposition mit einem formidablen Rundblick auf das gesamte Verkehrsgeschehen. Die Fahrgäste fühlen sich sicher, wie in einer „festen Burg“ – und fahren entspannt und bequem. Schließlich besitzt der GLE eine höchst komfortable Luftfederung (2034,90 Euro), die das Reisen zum Vergnügen macht und auch dem buckeligsten Kopfsteinpflaster den Schrecken raubt. Es ist ein Fahrzeug mit Wohlfühl-Charakter. Einiges dazu bei trägt das Ambiente-Licht (416,50 Euro), das in drei Farbnuancen den Fußraum ausleuchtet und die Türen illuminiert. Sogar der Cupholder wird verschieden farbig beleuchtet – und das macht sogar Sinn. Strahlt er rot, so wird er beheizt, leuchtet blau auf, dann wird gekühlt. Bei gelb bleibt alles auf Raumtemperatur.
Obgleich die Liebe zu Dieseltriebwerken schrumpft, finden wir das GLE 350d Coupé mit seinem Dreiliter-V6-Selbstzünder hervorragend motorisiert. Der Direkteinspritzer mit Turbolader leistet 258 PS und wuchtet das brachiale Drehmoment von 620 Nm schon zwischen 1600 und 2400 Umdrehungen auf die Kurbelwelle. Damit macht der GLE jedes Gebirge zum Flachland – die Kraft ist gigantisch. Und die Klangentfaltung außerordentlich dezent – dieses Triebwerk ist ein Flüster-Diesel. Die Fahrleistungen sind beeindruckend. Nur sieben Sekunden vergehen für den Sprint auf 100 und die Höchstgeschwindigkeit von 224 km/h befördert den immerhin knapp 2,3 Tonnen wiegenden GLE zum „King oft the Autobahn“. Denn wer dieses große Teil im Rückspiegel sieht, wechselt sehr schnell von links nach rechts. Ganz hervorragend finden wir den permanenten Allradantrieb 4Matik (auch wenn dieser schicke GLE alle andere ist als ein Geländewagen) und die Neun-Stufen-Automatik 9G-Tronic. Ob man allerdings tatsächlich neun Gänge braucht sei dahingestellt. Dass bei der hohen Leistung kein Spatzendurst aufkommt, dürfte wohl klar sein. Den Normverbrauch gibt Mercedes mit 7,2 Liter an. Im Test schluckte der GLE 10,5 Liter – was eigentlich immer noch akzeptabel ist. Und damit er weit genug kommt, hat ihm Mercedes einen 93-Liter-Tank eingebaut. Das schafft dann bei vernünftiger Fahrweise fast 1000 Kilometer Reichweite.
Selbstverständlich besitzt das GLE Coupé neben unzähligen Assistenten serienmäßig ein verstellbares Fahrwerk, das mit Hilfe der Fahrprogramme Individual, Komfort, Glätte, Sport und Sport+ via eines Drehstellers in der Mittelkonsole den Spagat zwischen sportlicher und komfortabler Fahrweise erlaubt. Mit seiner präzisen Lenkung lasst sich der GLE fein dirigieren, die Bremsen packen beherzt zu. Begeisternd ist das Active Curve System (3748,50 Euro), mit dem das GLE Coupé Kurven wie auf Schienen durchläuft. Dank seiner Fahrwerksstabilisatoren sind Wankbewegungen nahezu eliminiert, was für mehr Fahrkomfort auf der Straße sorgt. Immer wieder genial finden wir den Abstands-Assistenten Distronic (1148,35 Euro). Dieses Assistenzsystem hilft dem Fahrer automatisch, einen sicheren Abstand zum Vordermann zu halten und entlastet ihn auf langen Strecken und im Stau.
Mercedes lässt sich seine Fahrzeuge gut bezahlen – so auch das GLE 350d 4Matic Coupé. 67 770,50 müssen auf den Tisch des Händlers geblättert werden. Dafür jedoch erhält der Käufer ein Auto, das wegen seines extravaganten Designs zu einer Ikone aufsteigen könnte. (autour24)